Wir alle sind auf Mobilität angewiesen. Zugang zu Mobilität ermöglicht es uns, am sozialen und gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Wir fahren mit dem Tram zur Arbeit, mit dem Velo zum Einkaufen, mit dem Bus ins Volleyballtraining oder gehen zu Fuss eine Freundin besuchen.
Bei den meisten sieht dies allerdings nicht genau so aus. Denn in der Schweiz werden ca. zwei Drittel der Wege mit dem Auto zurückgelegt (1). Der Personenverkehr auf der Strasse ist für über ein Viertel der Treibhausgasemissionen und einen grossen Anteil der Feinstaub- und Lärmbelastung verantwortlich. 13.5 Prozent der Menschen in der Schweiz sind grenzwertüberschreitendem Strassenlärm ausgesetzt (2). Ausserdem gibt es in der Stadt kaum Platz für die Parkplatzflächen der vielen Autos. In Bern gab es Ende 2023 über 100‘000 Parkplätze für Autos (öffentliche und private) (3), obwohl weniger als die Hälfte der Haushalte ein Auto besitzen. Diese Fläche könnte zum Beispiel für gute und sichere Velowege, breitere Trottoirs oder Begrünung verwendet werden.
Um den Autoverkehr in der Stadt zu reduzieren, braucht es Alternativen. Dazu gehört gute Infrastruktur für Velos und Fussgänger*innen, aber insbesondere für längere Strecken und Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder Behinderungen auch ÖV. Damit Menschen ihr Auto stehen lassen oder sogar verkaufen, soll die Alternative praktisch und günstig sein und attraktiv wahrgenommen werden. Aber in den letzten Jahrzehnten sind die Preise des ÖV viermal so schnell gestiegen wie die Kosten des Autofahrens (4) und der teils verwirrende Tarifdschungel stellt für viele eine weitere Hürde dar. Damit der ÖV attraktiver wird, sollen die teuren Billette weg! Das macht es auch einfacher für Autofahrer*innen, die Alternative auszuprobieren und sich langsam daran zu gewöhnen.

https://www.umverkehr.ch/autobahnen#staedte
Gratis ÖV ist auch wichtig für soziale Gerechtigkeit. Asylsuchende und andere sozial Benachteiligte sollen nicht auf soziale Teilhabe verzichten, in täglicher Angst vor Billettkontrollen leben oder sogar im Gefängnis landen, weil sie sich die teuren Billette nicht leisten können. Kinder und Jugendliche verdienen auch kein Geld, aber brauchen auch Zugang zum ÖV, um ihren Freizeitaktivitäten und Ausbildungen nachgehen können. Wenn sie sich an den ÖV gewöhnen, nutzen sie ihn auch oft ein Leben lang. So stärkt Gratis ÖV den gesellschaftlichen Zusammenhalt und führt zu weniger Kriminalität.
Gratis oder vergünstigter ÖV muss auch nicht Staat und Allgemeinheit teuer zu stehen kommen. Das neu eingeführte und stark vergünstigte Deutschland-Ticket stärkt mit 20-24% neuen ÖV-Kund*innen und 300 Millionen zusätzlichen Fahrten ganzheitlich betrachtet möglicherweise die Finanzen von Bund und Ländern, wenn externalisierte Kosten berücksichtigt werden. Ausserdem braucht man mit kostenlosem ÖV keine Billettinfrastruktur mehr, was zu erheblichen Ersparnissen führen kann. Diese Infrastruktur macht oft über 10% der Gesamtkosten aus (leider gibt es nur wenige öffentlich zugängliche Daten dazu).
Gratis ÖV ist nicht einfach ein wilder Traum, sondern in über 300 Gemeinden in Europa inklusive grösserer Städte wie Montpellier und Tallinn und sogar auf dem ganzen Staatsgebiet Luxemburgs bereits gelebte Realität. Auch im Kanton Genf gibt es seit 2025 gratis ÖV für unter 25-Jährige sowie zum halben Preis für Senior*innen. Leider ist eine generelle Abschaffung der Billettpflicht in der Schweiz auch auf Gemeinde- oder Kantonsebene nicht möglich, weil die Verfassung vorschreibt, dass ein „angemessener Teil der Kosten“ von den Fahrgästen getragen werden muss. Deshalb wurden die Initiative der PdA in der Stadt Bern und verschiedene Westschweizer kantonale Initiativen für ungültig erklärt. Aber jetzt plant Agissons, eine soziale und ökologische Bewegung aus der Westschweiz, die Lancierung einer eidgenössischen Volksinitiative, die diese Bestimmung ändern würde. Wir freuen uns über die Initiative und hoffen, dass es gratis ÖV in der Stadt Bern ermöglicht.

Amsterdam vor und nach dem Parkraumrückbau. Quelle: Jörg Spengler auf Twitter, https://t.co/vgqUrVSEsB
Natürlich ist uns klar, dass das Abschaffen der Billette nicht alle Probleme lösen wird. Es braucht gute Infrastruktur, ein gutes Angebot und eine entsprechende Finanzierung sowie auch weitere Massnahmen wie eine Reduktion der Parkplätze und anderer Flächen des Autoverkehrs im öffentlichen Raum oder Fördermassnahmen des Fuss- und Veloverkehrs. Aber gratis ÖV ist ein wichtiges Puzzleteil und soll auch umgesetzt werden
Quellen:
3: https://www.derbund.ch/verkehrspolitik-parkieren-wird-in-bern-stetig-einfacher-319328182633
4: Umverkehr