Interview mit Louisa Wyss, 24-jährig. Die Agrarwissenschaft Studentin lernt aktuell die Permakultur und die Agroforstsysteme in Ecuador kennen und arbeitete auf mehreren Schweizern Biobauernhöfe.
Liebe Louisa, Fährt man aktuell mit dem Fahrrad von der Stadt aufs Land, fällt eine Zunahme von rot aufgehängten Fahnen auf. Die Abstimmungsfahne Nein zur Trinkwasserinitiative vom 13 Juni ist bei den Bauernhäusern weitverbreitet. Wieso wehren sich so viele Menschen, welche in der Landwirtschaft tätig sind, gegen die Initiative?
Die Agrarlobby der Schweiz ist nicht nur riesig, sondern hat auch noch ein grosses Kapital zur Verfügung. Teil davon sind mächtige Konzerne, wie Syngento oder Fenaco. Diese verdienen am heutigen Pestizidverbrauch und wollen die beiden Initiativen verhindern, was es auch kosten mag. Diese finanziellen Mittel haben die Verteidigenden der Initiativen nicht. Es erscheint deswegen der Eindruck einer Einstimmigkeit, dies ist aber nicht der Fall.
Wieso braucht es die Initiative von Franziska Herren?
Klar, viele Landwirt*innen haben Angst vor der Initiative, denn Veränderungen sind nicht einfach. In diesem Fall ist keine Veränderung jedoch noch viel beängstigender. Der hohe Gebrauch der Pestizide in der Landwirtschaft führt zu einem Biodiversitätsverlust von Wasserlebewesen, Insekten und Vögel. Gleichzeitig wird durch die Verschmutzung unser Trinkwasser und somit unsere Gesundheit gefährdet. Ausserdem führet die Verschmutzung zu Rückständen im Boden, welche die Landwirtschaft immer mehr erschweren. Die Bodenfruchtbarkeit nimmt ab. Wird dem kein Einhalt geboten, wird man diese Böden in Zukunft nicht mehr für den landwirtschaftlichen Gebrauch nutzen können. Um dies zu verhindern, braucht es jetzt einen Wandel.
Was würde die Initiative zur aktuellen Situation ändern? Wie und wie lange ist die Übergangsphase?
Durch die Annahme der Initiative würde eine Landwirtschaft, die Pestizide verwendet in Zukunft nicht mehr vom Bund subventioniert werden. Der Pestizidgebrauch würde sinken, die Böden könnten sich erholen und eine langfristig zukunftsfähige Landwirtschaft ermöglichen. Auch der Gebrauch von Antibiotika würde stark reduziert werden. Dank einer Übergangsfrist von acht Jahren, wird den Landwirt*innen sowie der Forschung Zeit gegeben, sich komplett auf die neue Regelung einzustellen. Dies soll die Veränderung vereinfachen.
Welchen Einfluss hat sie auf die Ernährungssouveränität der Schweiz?
Eine schwache Ernährungssouveränität aufgrund der Initiative wird häufig als Gegenargument verwendet. Dies kann ich verstehen, denn unsere heutige Landwirtschaft hat einen sehr hohen Pestizidgebrauch und einen Verzicht darauf fühlt sich verheerend an. Dabei wird häufig vergessen, dass schon heute viele Landwirt*innen seit Jahrzehnten pestizidfrei produzieren. Pestizidfreie Landwirtschaft kann zu kleinen Ertragseinbussen führen, jedoch nicht, wenn man auch an die Zukunft denkt. Wird der Status quo beibehalten, verlieren die Böden an Fruchtbarkeit wodurch die Ernährungssouveränität langfristig viel stärker beeinträchtigt würde.
Ausserdem gibt es viele andere Quellen von Beeinträchtigung der Ernährungssouveränität. Würde dem heutigen Level an Food Waste und Lebensmittelshaming Einhalt geboten, würde viel mehr produziert werden, auch pestizidfrei.
Am 13 Juni kommt eine zweite Initiative zum Thema vors Volk. Wie unterscheidet sich die Pestizidinitiative von der sauberen Trinkwasserinitiative? Was haben sie gemeinsam?
Im Gegenteil zur Trinkwasserinitiative bezieht sich die Pestizidinitiative nur auf synthetische Pestizide. Diese werden dabei nicht nur von Direktzahlungen ausgeschlossen, sondern generell verboten. Sowohl in der Landwirtschaft als auch in anderen Formen von Landschaftspflege. Es wird dabei nicht nur auf die inländische Produktion bezogen, sondern auch auf die importierten Lebensmittel. Die beiden Initiativen haben andere Ansätze, aber ein gemeinsames Ziel: Gesunde Böden und Umwelt für eine Landwirtschaft, die langfristig eine Ernährungssouveränität garantiert.
Welche Missstände gibt es sonst noch in der Landwirtschaft? Wo und wie könnten wir diese beheben? Was sollte unsere Gesellschaft ändern?
Die heutige Landwirtschaft steht neben der hohen Pestizidbelastung auch vor vielen anderen Herausforderungen: Ökologische Herausforderungen, ausgelöst durch den Klimawandel oder den Biodiversitätsverlust; soziale Herausforderungen, wie die Absicherung von Bäuerinnen; wirtschaftliche Herausforderungen, wie die Abhängigkeit der Landwirtschaft von Grosskonzernen und wenigen Grossverteilern. Auch diese strukturellen Probleme brauchen möglichst bald Lösungen. Einerseits durch ein anderes Einkaufsverhalten der Konsument*innen, aber vor allem durch eine progressivere Agrarpolitik. Schön können wir mithilfe dieser Initiativen eine erste Herausforderung bestreiten. Deshalb:
2X JA FÜR DIE AGRARINITIATIVEN!