JA!rgon Nr. 1/2016
Wie wir alle wissen, reisen jährlich eine Menge wichtiger Politiker_innen, Manager_innen und andere VIPs in die Berge, um am Jahrestreffen des World Economic Forums ihre Welt zu verbessern. Ihr Reiseziel ist Davos, ein Skiferienort, der Aufgrund dieses Anlasses komplett umgekrempelt wird. Um den Teilnehmer_innen eine angenehm luxuriöse Zeit zu bescheren, geschehen in Davos eine Menge fragwürdiger Dinge. Von Joy Schenk
Davos 1570 müM ist ein Städtchen mit rund 11‘000 Einwohnern. Der Ferienort ist von Bergen umgeben. Die Häuser sehen von oben betrachtet aus, als hätte ein Kind achtlos seine Bauklötzchen ausgeleert. Nur zwei Einbahnstrassen ziehen sich durch das Tal, und die An- und Abreise führt zwangsläufig über eine Passhöhe. Dies macht Davos zum perfekten Ort, um 2795 Leute in den 90 ausgebuchten Luxushotels sicher unterzubringen. Hier kann mit grossem Aufwand dafür gesorgt werden, dass während den drei Tagen der „wichtigen“ Diskussion nichts passieren kann.
Die Sicherheit steht an oberster Stelle. Bereits 5 Wochen vor Beginn des WEFs werden WK-Soldaten nach Davos befördert, welche über einen Monat damit beschäftigt sind, das Städtchen zu vergittern. Zuletzt wird die Festung mit weissem Fliess verpackt, damit sich die Teilnehmer_innen nicht eingesperrt vorkommen. 4501 Militärangehörige standen 2016 in Davos im Einsatz, beschäftigt bei der Kontrolle an den Pässen, Luftwache, Bewachung des Kongresszentrums und der Bombenentschärfung. „Das WEF wird jedes Jahr grösser“, sagt eine Davoserin, „aber dieses Jahr haben sie es wirklich übertrieben, sogar auf den Dächern der Häuser postierten sie Wachen.“
Während des WEFs herrscht niemals Ruhe, rund um die Uhr sind die Sicherheitskräfte im Einsatz. Als ich im Kindergarten war, haben wir in der Nähe des Helikopterlandeplatzes gewohnt. 4 Schlaflose Nächte, in denen die Superpumas nicht aufhörten zu starten. Während diesen Tagen sind 1180 Fahrzeuge im Einsatz. Die Kosten der Sicherheit kletterten dieses Jahr auf 8Mio. Franken.
Selbstverständlich wird auch sonst an keiner Ecke gespart, um der „high society“ dieser Welt einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen.
Spaziert man während des WEFs über die Davoser Promenade, erkennt man die Einkaufsstrasse des Ortes kaum wieder. Hier haben sich wie von Zauberhand alle herkömmlichen Geschäfte in schillernde Luxusboutiquen sowie Informationsstände, Werbeflächen und Beratungsbüros für Banken und Versicherungen verwandelt. Ein Geschäft verspricht sich in dieser Zeit mehr Gewinn damit, den ganzen Laden räumen zu lassen und während dieser Zeit Geschäften einer anderen Liga zu weichen. So hoch sind die Mieten während dieser drei Tage angesetzt.
So muss die städtische Bibliothek einem riesigen Medienzentrum weichen, das Souvenierlädeli wird zum Versicherungsberatungsbüro und der Coiffeur verwandelt sich in die Julius Bär Privatbank. Die Davoser Schulen müssen ihre Aulen für Infoanlässe hergeben. Für den Fall einer Katastrophe wird die Turnhalle des Schulhaus Bünda in ein Notfallspital mit mobilen Operationssälen umgebaut.
Beim Hallenbad wird das Wasser ausgelassen, es wird mit einem Boden ausgelegt und in ein Bargebäude umgewandelt. Vor den Hotels werden portable Gebäudecontainer aufgebaut, damit die Sicherheitschecks nicht in der klirrenden Kälte vorgenommen werden müssen. Diese gleichen den Sicherheitskontrollen eines Flughafens und gelten sowohl für Angestellte als auch für Teilnehmende.
Auch bei den Transportmöglichkeiten für unsere Prominenz muss für optimale Sicherheit und Komfort gesorgt werden. Der Hauptverkehr führt über zwei Einbahnstrassen. Eine der zwei Strassen wird nun völlig für den Shuttleverkehr reserviert, die andere darf Streckenweise noch von öffentlichen Verkehrsbussen befahren werden. (In welchen einem das Herausschauen verwehrt bleibt, weil auch deren Fensterscheiben intensiv als Werbefläche genutzt werden.) In die Nähe des Kongresszentrums dürfen keine normalen Davoser_innen mehr, die Busse werden dementsprechend umgeleitet, was jeglichen Schul- und Arbeitsweg relativ zeitintensiv macht.
Die Elite benutzt den Shuttleverkehr aber eher selten, lieber werden sie in selbst mitgebrachten Limousinen transportiert. Die Chauffeure und Chauffeusen sind somit ganzzeitig damit beschäftigt in Davos auf und ab zu fahren; logischerweise wird der Motor kaum ausgeschaltet, damit es in der Grossraumlimusine auf jeden Fall warm bleibt.
Am WEF wird natürlich nebst den wichtigen Diskussionen und Vorträgen auch die Tatsache, dass die Wirtschaftselite in Davos vereinigt ist, zelebriert. Dies wird in Form eines Gala Dinners gefeiert. Finanziert wird der ganze Spass von einem der teilnehmenden Länder. Das Land wird mit extra Werbung zu dessen Gunsten, welche hauptsächlich auf den Bussen platziert wird, belohnt.
Eine der am WEF arbeitenden Bedienungen hatte den Galaabend noch sehr gut Erinnerung: „Meine Arbeit am WEF ist schon ein paar Jahre her. Das Kongresszentrum war an diesem Abend nicht mehr wieder zu erkennen. Möbel, Kissen, Zimmerpflanzen, alles war perfekt auf das Thema abgestimmt. Allen Mitarbeitenden, die etwas mit der VIP Gesellschaft zu tun hatten, wurde die Masse genommen, um sie mit massgeschneiderten Saris einzukleiden. Auch wurden alle einheitlich frisiert und geschminkt. Das komplette Geschirr mit orientalischen Ornamenten liess man aus Zürich mit einem Lastwagen nach Davos transportieren. Die Tischdekoration bestand hauptsächlich aus tropischen Früchten, welche, wie es sich für eine Tischdekoration gehört, nach dem Anlass entsorgt wurden.“
Während am WEF zwar ab und zu über den Klimawandel debattiert wird, wird während den Tagen in Davos auf die Umwelt keine Rücksicht genommen. Da es viele der Gäste bevorzugen, mit insgesamt ca. 200 Privatjets anzureisen, wird ausschliesslich für die Anreise 1400t CO2 verbraucht. Von Emissionen, die beim Transport von Lebensmitteln, Gittern und Arbeitskräften entstehen und diese des nie zur Ruhe kommenden Shuttlebussystems ganz zu schweigen. Die Lebensmittelverschwendung während dieser Tage ist auch Rekordverdächtig. Genaue Zahlen sind nirgends zu finden, klar ist nur, dass die Biogasanlage Davos und Umgebung, welche aus Nahrungsabfällen Strom produziert, in diesen Tagen 10% ihres Umsatzes macht. Somit ist 10% des Abfalls, der in Davos jährlich produziert wird, mit dem WEF verbunden. Das ist eine ungeheure Menge, wenn man bedenkt, dass in Davos, das sozusagen aus Hotels besteht, auch während des Jahres nicht wenig Abfall produziert wird.
Das WEF wird mit jedem Jahr grösser und überspitzter. Der Widerstand in Davos hingegen schrumpft mit jedem Jahr. Dieses Jahr hatte die Demonstration auf dem Postplatz noch läppische 50 Anhänger_innen. Wieso wehren sich die DavoserInnen nicht gegen die Invasion in ihrem Städtchen? Die Antwort ist klar und einfach: Weil alle davon profitieren. Die Handwerker, die beim Aufbau der provisorischen Häuschen und der Umräumung der Geschäfte eingespannt werden. Eine Menge an Chauffeuren und Chaffeusen, aber auch Arbeitskräfte im Service und in der Küche. Die Hotels verdienen während dem WEF rund einen Drittel ihres Jahresumsatzes. Jede_r Einzelne profitiert aber Davos ignoriert, dass es seit dem Umbau des neuen Kongresszentrums ca. 140 Millionen Schulden hat. 140 Millionen Schulden auf 11‘000 Einwohner. Auch dass das WEF jährlich um die 35.5 Millionen Franken kostet, stört Davos nicht im Geringsten. Schliesslich zahlt jede_r Teilnehmende eine stattliche Summe im fünfstelligen Bereich.
Ob das WEF für Davos ein Gewinn ist, über das lässt sich streiten. Aber ob das WEF ein Gewinn für die Welt, ein Gewinn für die Menschheit ist, wird meiner Meinung nach mit diesem Hintergrundwissen einmal mehr klar widerlegt.