Kurz nach dem Lockdown hat der Gemeinderat die Rechnung 2019 der Stadt Bern präsentiert: 1.4% Defizit und Sparmassnahmen im laufenden Budget von 15 500 000 Franken – auch im Sozialen. Und Corona wird zusätzlich zu weniger Einnahmen führen. Wie ist eine soziale und ökologische Politik trotzdem möglich?
Von Eva Krattiger
Rückblick
Bereits im Januar hat der Gemeinderat angekündigt, dass die städtischen Einnahmen von 2019 unter den Erwartungen liegen und mit einem städtischen Defizit zu rechnen ist. Nun hat der Gemeinderat die Jahresrechnung 2019 und das definitive Ergebnis präsentiert. Zum ersten Mal seit über zehn Jahren weist die Stadt Bern ein Defizit auf. Und dies von lediglich 1.4%. Wenn die Bürgerlichen jetzt also schreien, das sei einer verantwortungslosen Finanzpolitik der linksgrünen Mehrheit zu verdanken, so entbehrt dies jeglicher Grundlage. Grund für das Defizit sind tiefere Steuereinnahmen der juristischen Personen – also der Unternehmen. Momentan ist aber noch unklar, weshalb diese zurückgingen. Mit der aktuellen Coronakrise wird sich diese Tendenz aber wahrscheinlich noch verschärfen.
Wo der Gemeinderat jetzt spart
Mit der Jahresrechnung von 2019 hat der Gemeinderat auch vorgestellt, in welchen Bereichen er im Jahr 2020 sparen will. Dabei wurde der festgelegte Betrag von 15.5 Mio. Franken jeweils proportional zu ihrer Grösse auf die Direktionen verteilt. Weil die BSS (Direktion für Bildung, Soziales und Sport) die grösste Direktion ist, muss sie deshalb am meisten Geld einsparen. Dieses Vorgehen ist aus unserer Sicht unverständlich, denn es fehlt jegliche inhaltliche Priorisierung. Der Gemeinderat hat anstatt abzuwägen, auf welche Ausgaben verzichtet werden kann und wo er nicht kürzen will, einfach überall gleichmässig die geplanten Ausgaben gekürzt. Er hat also null politische oder inhaltliche Überlegungen gemacht und einbezogen.Dieses Vorgehen ist fatal, denn Einsparungen haben nicht in allen Bereichen die gleichen Auswirkungen. Während eine noch funktionierende Ampel auch erst ein Jahr später ersetzt werden kann, haben beispielsweise Kürzungen bei der Kinderbetreuung sofort schwerwiegende Auswirkungen.
Mehr investieren oder mehr sparen wegen Corona?
Mit Corona wird die ganze Diskussion um Einnahmen und Sparmassnahmen nochmals komplexer und unsicherer. Wer kann momentan beurteilen, wie lange diese Krise anhält und welche sozialen und ökonomischen Folgen daraus hervorgehen werden? Obwohl momentan auch die Bürgerlichen staatliche Unterstützung für die Wirtschaft verlangen, ist davon auszugehen, dass die Steuereinnahmen im nächsten Jahr, wenn nicht in den nächsten Jahren, tiefer ausfallen werden.
Für uns ist klar, dass die Stadt jetzt unabhängig von ihrer finanziellen Situation die Leute unterstützen muss, die auf Hilfe angewiesen sind. Wie in anderen Ländern noch deutlicher zu sehen ist als bei uns, macht Corona nicht alle Menschen gleich. Im Gegenteil. Dass arme Leute, von Rassismus Betroffene, sozial ausgegrenzte Menschen eher zur Risikogruppe gehören und damit stärker von Corona betroffen sind, ist kein Zufall. Jetzt wird es besonders deutlich, dass nicht alle Menschen den gleichen Zugang zu unabhängigen Informationen, zu einem guten Gesundheitssystem oder zu Bildung haben. Corona zeigt aber auch, was mögliche Auswirkungen sind von einer Minimierung von staatlichen Leistungen. Ein kaum vorhandener Arbeitnehmer*innenschutz, ein fehlendes Kurzarbeitssystem, fehlende Arbeitslosenversicherung und fehlende Krankenversicherung führen in den USA zu schrecklichen Zuständen. Und in all den kleingesparten Gesundheitssystemen, für die lange jedes freie Bett eines zu viel war, fehlen nun die Intensivbetten.
Trotz der wirtschaftlichen Auswirkungen, die via tiefere Steuereinnahmen auch den Staat und die Stadt treffen werden, sind städtische Ausgaben momentan also enorm wichtig und dürfen nicht mit Blick auf die nächste Jahresrechnung gekürzt werden. Eine Stadt ist kein Unternehmen, das jedes Jahr nach Gewinn strebt. Eine Stadt muss ihre Ausgaben gerade in der Krise erhöhen, dann wenn eben mehr Menschen auf Unterstützung angewiesen sind. Gerade öffentliche Dienste und der Sozialstaat dienen als Auffangnetz, die insbesondere (aber bei weitem nicht nur) in Krisenzeiten unentbehrlich sind. Nur mit diesem Auffangnetz und den Ausgaben der öffentlichen Hand können wir durch die Krise kommen.
Wie weiter?
Wir werden uns in nächster Zeit (wer weiss schon, auf welchen Zeithorizont sich diese Aussage bezieht) immer wieder Fragen der Priorisierung und der Abwägung stellen müssen. Darf sich die Stadt weiter verschulden? Werden alle Wirtschaftsbereiche gleichermassen unterstützt? Wie können die nun am stärksten belasteten Menschen entlastet werden? Ist die Renovation des Freibades oder der Schule wichtiger oder wo sparen wir, damit es für beides reicht? Diese Entscheidungen werden nicht einfach sein, gehören aber in der Politik immer dazu. Für uns ist klar, dass bei der ganzen Spardiskussion, die auf uns zukommt, der Sozialstaat nicht geschwächt werden darf und es trotz klammem Budget weitergehen muss im Kampf gegen den Klimawandel.