Kritik (in) der Demokratie

Ich bin ein optimistischer Mensch, hab viel Vertrauen in unser demokratisches System und halte Zeitungsberichte über die Krise der Demokratie für klickorientierte Überzeichnungen. Trotzdem haben mir zwei Vorkommnisse der letzten Wochen zu denken gegeben. von Eva Krattiger

Alle Entscheide in einer Demokratie werden von gewissen Parteien als Fehlentscheide betrachtet – das gehört zu einem demokratischen System, in dem Entscheide nicht einstimmig, sondern mit einer Mehrheit gefällt werden, dazu. Genauso, wie dazugehört, dass diese politischen Niederlagen anerkannt werden. Nur selten wird in der Schweiz an der Rechtmässigkeit einer Abstimmung oder einer Wahl gezweifelt. Ist dies trotzdem der Fall, stehen die Mittel des Rechtswegs zur Verfügung, um den Entscheid anzufechten, wie dies in Moutier momentan der Fall ist. In einem demokratischen System ist der Umgang mit Kritik damit institutionalisiert. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, kann und soll sich an die Justiz wenden oder die bestehenden politischen Grundlagen auf dem demokratischen Weg verändern. Diese Grundsätze führen dazu, dass unserer Demokratie viel Vertrauen entgegengebracht wird.

Umso problematischer finde ich es, wenn gewählte Parlaments- und Exekutivmitglieder beginnen, eben dieses demokratische Fundament zu untergraben. Insbesondere, wenn es sich dabei um das parlamentarische Aufsichtsgremium handelt, das zur Aufgabe hat, die Tätigkeiten der Verwaltung und der Regierung zu kontrollieren. Dieses Gremium ist in der Stadt Bern die Aufsichtskommission. Die Integrität dieser Aufsichtskommission wurde in den letzten Wochen sowohl von Gemeinderat Reto Nause als auch von SVP-Stadtrat Henri-Charles Beuchat angegriffen.

Die Kritik von Gemeinderat Reto Nause lässt sich aus dem Bundartikel [1] vom 29.11.2018 rekonstruieren. Demnach hat die Aufsichtskommission sich mit dem Polizeieinsatz bei der Reitschule von Anfang September beschäftigt und dazu sowohl die Polizei als auch die IKuR angehört. Reto Nause wirft der Kommission in diesem Zusammenhang Einseitigkeit und Befangenheit vor. Ins gleiche Horn bläst Stadtrat Henri-Charles Beuchat, selber Mitglied der Aufsichtskommission, wenn er meine Wahl in die Aufsichtskommission als «Kastration der Verwaltungsaufsicht in der Stadt Bern» bezeichnet.

Auch wenn seine Reaktion als Antwort auf die Nicht-Wahl von Erich Hess als zweiten Vize-Stadtratspräsident gedeutet werden kann, greift er gleichzeitig die Integrität der Kommission an. Sowohl Beuchat als auch Nause streuen also Zweifel über die Fähigkeit der Kommission ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen und stützen diese Kritik auf der politischen Ausrichtung ihrer Mitglieder.

Was beide Herren in ihrer Kritik verschweigen, ist die Zusammensetzung und der Wahlprozess der Aufsichtskommission. Wie jede andere stadträtliche Kommission ist auch die Aufsichtskommission im Wahlproporz zusammengestellt. Ihre Mitglieder werden auf Vorschlag ihrer Fraktionen vom Stadtrat gewählt. Daraus folgt, dass auch in der Aufsichtskommission eine linke Mehrheit besteht. Und dass damit eine Kommission mit einer linken Mehrheit einen Gemeinderat mit einer linken Mehrheit überwacht. Wer diese Situation als Problem wahrnimmt, hat die demokratischen Instrumente zur Verfügung, eine Änderung des Wahlprozederes oder der politischen Zusammensetzung der Kommission auf politischem Weg zu verlangen oder zumindest die Diskussion darüber zu eröffnen. Ansonsten gilt das (demokratisch legitimierte) Kommissionsreglement, das den Auftrag der Kommission klar beschreibt nach dem sich unsere Arbeit zu richten hat.

Für mich ist klar, dass in einer funktionierenden Demokratie Parlamentsmitglieder dafür einstehen sollten, dass das Vertrauen in Institutionen und Prozesse bestehen bleibt. Zweifeln sie deren Rechtsmässigkeit an, bieten Demokratie und Rechtsstaat genügend Möglichkeiten, diese zu überprüfen. Wird die Rechtsmässigkeit von Institutionen jedoch öffentlich in Zweifel gezogen, ohne dass die Vorwürfe überprüft werden können, so gefährden wir unser jetziges System. Wer vertraut schon einem Parlament, wenn die Parlamentarier_innen selber dessen Arbeitsweise in Zweifel ziehen? Natürlich ist unser System nicht perfekt – aber es bietet genügend Möglichkeiten, Veränderungen innerhalb der Systemgrenzen anzustreben.   

In dem Sinne freue ich mich auf die Arbeit in der Aufsichtskommission, die ja gerade zum Auftrag hat, Kritik an der Rechtmässigkeit der Regierungstätigkeit ernst zu nehmen und auf ihren Gehalt hin zu überprüfen. Nur solange Kritik möglich ist, Gehör findet und wenn sie begründet ist, zu Veränderungen führt, befinden wir uns in einem demokratischen System, das seinen Namen verdient hat.  


[1] https://www.derbund.ch/bern/stadt/reitschule-streit-um-polizeieinsatz-eskaliert/story/13407444