Am 22. September 2017 kurz vor Sechs verliess Ursula W. ihr Büro in der Bundesgasse und schwang sich auf ihr Velo*, um möglichst schnell dem Büroalltag den Rücken zuzukehren und ins Wochenende zu düsen. Doch als sie über den Waisenhausplatz Richtung Bollwerk fuhr, wurde ihr urplötzlich schlecht, denn sie sah ihre grösste Feindin.
Die Junge Alternative JA!, die sich seit jeher für eine nachhaltige und sinnvolle Velopolitik einsetzt, fuhr mit ca. 100 Aktivist*innen durch die Stadt und machte mit Unterstützung von „Dr. Minx“ Lärm für eine autofreie Innenstadt, mehr unentgeltliche Veloparkplätze mit Anbindemöglichkeit in der gesamten Stadt (besonders um den Bahnhof) und durchgängige Velowege, die genug breit sind, um andere Velos zu überholen. Zudem forderte sie mehr grüne Wellen für Velos und dass Rechtsabbiegen bei roten Ampeln für Velofahrende gestattet ist.
Und da wurde Ursula W. plötzlich bewusst, dass „ihre“ Velooffensive ja eigentlich auch in die selbe Richtung geht, das Ziel jedoch etwas verfehlt hatte. Es ist ja schon gut, rund um den Bahnhof Velostationen zu bauen, um die Kapazität und die Sicherheit für die Velofahrer*innen und deren Fahrräder zu erhöhen. Aber es kann nicht sein, dass Velostationen gebaut werden und dafür kostenlose Veloparkplätze abgeschafft werden. Denn viele Menschen, auch der Autor, sind nicht in der Lage, 150 Franken pro Jahr zu zahlen, um ihr Velo abzustellen. Damit geht der Reiz des Velos, nämlich das es billig und trotzdem schnell ist, verloren.
Ein weiteres Beispiel für die verfehlte Velopolitik ist der Bahnhofsvorplatz hinter der Heilliggeistkirche. Dort hat die Stadt Veloparkplätze anzeichnen lassen, jedoch keine Anbindemöglichkeiten zu Verfügung gestellt. Wäre es wirklich so ein Aufwand gewesen, ein Baugesuch dafür einzureichen? Wahrscheinlich nicht. Es war aber einfacher, keine hinzustellen und somit kein Gesuch einzureichen.
Und zum Abschluss dieses Textes kommen wir noch auf das Projekt, welches den Autor dieses Textes an der gesamten Velooffensive am meisten stört: die Velo- und Fussgängerbrücke. Die Velobrücke soll zwischen der äusseren Enge und der Standstrasse gespannt werden. Für viele Leute die zum Beispiel in der Längasse wohnen und zum Breitenrainplatz müssen, ist dies jedoch sehr unattraktiv. Da überlegt man sich plötzlich doch zwei Mal, ob man nicht lieber über die Lorrainebrücke fährt und wahrscheinlich viel schneller ist. Zudem wird die Brücke sehr bald von Touristen überfüllt sein, die ein schönes Foto von Bern machen wollen. Mehr Standortwerbung als Veloförderung also.
Ursula W. kehrte ihr Velo* um und fuhr zurück ins Büro. Sie hatte noch viel Arbeit vor sich.
* Ursula W. hat uns darauf hingewiesen, dass sie kein E-Bike fährt. Wir entschuldigen uns für die fälschliche erste Version des Textes.
Im Ja!rgon nr. 3/17, von Julian Zürcher