Dringliche Interpellation Fraktion GB/JA! (Seraina Patzen und Eva Krattiger JA!)
In einem Interview vom 7. Mai mit dem Bund sowie in der BZ kündigte Gemeinderat Reto Nause Nulltoleranz gegenüber Demonstrierenden an. Begründet wird dies mit dem derzeit bestehenden Versammlungsverbot, das keine Ermessungsspielräume zulasse. Gemäss Rechtsexpert*innen bestünde aber durchaus Spielraum bei der Tolerierung von Kundgebungen. Dass Einzelpersonen mit Plakaten verhaftet werden, lässt sich nicht mit dem Versammlungsverbot rechtfertigen. Und Aussagen von Reto Nause wie „verhältnismässig ist momentan halt, dass nicht immer gleich der Wasserwerfer auffährt.“ sind aus unserer Sicht einfach untragbar.
Dass die Versammlungsfreiheit im Moment aufgrund der Schutzmassnahmen gegen Corona eingeschränkt ist, ist nachvollziehbar. Gleichzeitig muss der Gemeinderat in der jetzigen Zeit alles daran setzen, dass die Grundrechte soweit wie möglich wahrgenommen werden können. Dies bedeutet, dass Protestformen, die die Hygiene- und Abstandsregeln respektieren, toleriert werden müssen. Der Gesamtgemeinderat hat am Mittwoch, 13. Mai, in einer Medienmitteilung mitgeteilt, dass die Polizei beauftragt wurde, jegliche Kundgebungen „im Rahmen der Verhältnismässigkeit“ zu verhindern. Was dies genau bedeutet, ist unklar.
Weiter stellen sich aufgrund des augenscheinlich sehr unterschiedlichen Vorgehens gegen die Lockdown-Gegner*innen an den Kundgebungen auf dem Bundesplatz am 2. und 9. Mai einerseits und gegen die 1.-Mai-Demonstrierenden in der Innenstadt und Klimaaktivist*innen am 5. Mai auf dem BernExpo-Gelände andererseits Fragen zur Gleichbehandlung von Demonstrationen mit unterschiedlichen politischen Hintergründen.
Wir bitten den Gemeinderat deshalb um die Beantwortung der folgenden Fragen:
- Hat sich der Gemeinderat damit auseinandergesetzt, welche Spielräume die Verordnungen des Bundes und des Kantons hinsichtlich der Tolerierung von Kundgebungen bieten?
- Wieso kommt der Gemeinderat anders als viele Rechtsexpert*innen und Stadtregierungen zum Schluss, dass auch bei der strikten Einhaltung von Hygienemassnahmen keine Kundgebungen möglich sind?
- Was bedeutet es, dass Kundgebungen „im Rahmen der Verhältnismässigkeit“ verhindert werden sollen?
- Hat der Gemeinderat beschlossen, dass die Polizei auch weiterhin gegen Einzelpersonen mit Plakaten und andere kleine Protestaktionen vorgehen soll?
- Wurde die Strategie zum Umgang mit den genannten Demonstrationen im Gesamtgemeinderat in jedem einzelnen Fall besprochen?
- Wie viele Teilnehmende wurden jeweils von der Polizei aktiv weggewiesen, von wie vielen Teilnehmenden wurden jeweils die Personalien aufgenommen und wie viele Teilnehmende wurden jeweils angezeigt?
- Worauf führt der Gemeinderat die Ungleichbehandlungen bei den verschiedenen Demonstrationen zurück?
Begründung der Dringlichkeit: Das Demonstrations- und Versammlungsrecht ist momentan aus verständlichen Gründen stark eingeschränkt. Der Gemeinderat muss dringend Stellung beziehen, inwiefern er die Wahrnehmung dieser Grundrechte trotzdem so weit wie möglich garantieren will. Es darf nicht sein, dass der Gemeinderat die Situation ausnutzt, um die Demonstrationsfreiheit mehr als unbedingt nötig einzuschränken.