Gedanken zur (Lohn-)Arbeit

von Ronja Rennenkampff

Was wäre, wenn Arbeit abgeschafft würde? Emilia Roig widmet sich im siebten Kapitel ihres Buches „Why We Matter – das Ende der Unterdrückung“, diesem Thema. Dies hat mich zum folgenden Text inspiriert:

„What do you do for a living?“

„I’m not working at the moment. I’m traveling.“

Diese Frage so zu beantworten zu können, ist ein unglaubliches Privileg, das weiss ich. Jedoch frage ich mich, so wie Roig in ihrem Buch auch, warum wir diese Frage immer wieder stellen und gestellt bekommen, meistens sobald wir eine Person kennenlernen.

„Oh okay. So what do you do when you’re at home and not traveling?“.

Mir war so stark bewusst, dass ich diese Frage gestellt bekommen würde, dass ich mir vor meiner Reise eine möglichst einfache Antwort dafür überlegte.

„I’m a teacher.“

Gerade beim Reisen, wenn ich so viele neue Menschen kennenlerne, merke ich, dass mich diese Frage nicht interessiert, aber anscheinend alle um mich herum. Viel lieber würde ich mit den Menschen darüber sprechen, warum ich die Arbeit gerne abschaffen würde oder über eine allgemeine Definition von Arbeit.

„Alles, was wir zum Überleben tun, ist Arbeit – nicht nur die Dinge, die Geld bringen. Deswegen geht es hier um das Ende der Lohnarbeit, nicht der Arbeit im weitesten Sinne.

(Aus: Why We Matter, Emilia Roig)

Gemäss Roig arbeite ich also doch. Nur verdiene ich im Moment kein Geld und für die meisten Menschen definiert sich die Arbeit am Geld und gibt ihr so einen Wert.

Roig beschreibt am Anfang des Kapitels „Bei der Arbeit“, ein Gefühl der Unruhe, das sie spürte, als sie das erste Mal einen „richtigen“ Job (mit Lohnausweis und Überweisung des Gehalts) hatte und merkte, dass sie Teil eines gigantischen Systems ist:

„Die Unruhe begleitet mich bis heute. Sie entsteht aus der Angst heraus, aus diesem System zu rutschen und dafür durch Armut, soziale Ausgrenzung und Wertlosigkeit bestraft zu werden.

(Aus: Why We Matter, Emilia Roig)

Obwohl ich das Privileg habe, nicht so leicht in die Armut abzurutschen und sozial ausgegrenzt zu werden, habe ich immer das Gefühl, wenn ich sage, dass ich nicht lohnarbeite, mir weniger Wert zugeschrieben wird. Die Schuldgefühle überschlagen sich jeweils in meinem Kopf:

„Wie kannst du nur nicht arbeiten?“,

„Hat dein Leben überhaupt einen Sinn?

“Was ist der Nutzen von dem, was du gerade machst?“

„Alle um dich herum arbeiten tagsüber und können sich nur am Wochenende die Stadt anschauen und Ausflüge machen. Und du arbeitest einfach gar nicht?“

„Du schläfst einfach 10 Stunden und schaust dir dann ein bisschen die Stadt an?“

„JAAAAA!“ Möchte ich meine Gedanken anschreien. Ja und das reicht. Ich habe in meinem Leben noch genug Zeit, um Lohnarbeit nachzugehen.

Trotzdem habe ich schon mit dem Gedanken gespielt einen sogenannten remote Job anzufangen, nur um die Stimmen in meinem Kopf zum Verstummen zu bringen und nicht mehr dieses unbehagliche Gefühl zu haben, wenn ich nach meiner Lohnarbeit gefragt werde.

„Viele von uns arbeiten besonders hart und lang, weil unsere Kultur uns dazu konditioniert hat, uns schuldig und wertlos zu fühlen, wenn wir nicht produktiv sind.
(Aus: Why We Matter, Emilia Roig)

Seit ich Lohnarbeit ausführe versuche ich mich vehement von diesem Schuldgefühl zu befreien. Es gab immer wieder Phasen in meinem Leben, in denen ich keine Lohnarbeit geleistet habe oder nur sehr wenig, im Vergleich zu dem, was als „normal“ betrachtet wird. Ich habe immer versucht, diese Zeit zu geniessen und mich nicht von meinen Schuldgefühlen „auffressen“ zu lassen. Vor allem versuchte ich die Tätigkeiten, die ich sonst gemacht habe, auch als Arbeit zu sehen. Als ich weniger oder keiner Lohnarbeit nachgegangen bin, bin ich auch nicht den ganzen Tag in meinem Zimmer gesessen und habe Serien und Filme reingezogen (auch wenn das völlig okay wäre). Nein, die meiste Zeit habe ich Dinge gemacht, die mir Spass machen, die mir Freude bereiten und für die ich viel zu wenig Zeit gehabt hätte, wenn ich mehr lohngearbeitet hätte. Deshalb habe ich es nicht gemacht. Der tägliche Kampf gegen die Schuldgefühle in meinem Kopf wurde kleiner, doch der Druck und die Blicke von aussen, die blieben. Das Gefühl mich immer etwas erklären zu müssen, das blieb. Ich überlegte mir Dinge, die ich sage, was ich den sonst noch alles tue, die es irgendwie rechtfertigen, dass ich nicht 42 Stunden in der Woche arbeite. Und eigentlich müsste ich gar nicht so weit überlegen, denn mit einer 42-Stunden Woche komme ich nicht einmal zu genügend Schlaf. Ich muss weniger arbeiten, nur dass ich schlafen kann. Schlafen ist ein Grundbedürfnis. Ich weiss nicht, warum ich mich rechtfertigen sollte, einem Grundbedürfnis nachgehen zu wollen, so dass es wirklich erfüllt ist und nicht nur so, dass ich noch genügend Zeit daneben habe, um 42-Stunden für Lohn zu arbeiten.

Trotzdem weiss ich und das stellt auch Roig in ihrem Buch klar, dass es ein Privileg ist, nicht arbeiten zu müssen oder eine Arbeit zu haben, die man gerne macht, die einem erfüllt. Es ist ein Privileg seine Arbeit auswählen zu können. Die meisten Menschen arbeiten nur, um in diesem kapitalistischen System irgendwie zu überleben. Trotzdem wird uns schon früh weisgemacht, dass wir nach unserer Erfüllung streben sollten, uns hochzuarbeiten, bis wir einen Job haben, der uns glücklich macht und uns wird beigebracht, dass es diesen gibt. Doch warum sprechen wir nicht öfters darüber, dass das System der Lohnarbeit schlussendlich alle ausbeutet und nur dem Kapitalismus dient? Warum glauben mir die wenigsten Menschen, wenn ich sage, dass es mich am glücklichsten macht, wenn ich nicht lohnarbeite?

„Wenn alle von uns statt eines Berufes eine Berufung finden könnten, würde unsere Gesellschaft anders aussehen. Doch der kapitalistische Druck verhindert die Muße, die nötig ist, um herauszufinden, was unsere Berufung wirklich ist.

(Aus: Why We Matter, Emilia Roig)

Ich wünsche mir, dass wir aufhören Menschen nach ihrer Lohnarbeit zu fragen. Es gibt so viel spannendere Fragen, die wir stellen könnten und meistens erzählen sie uns mehr über unser Gegenüber.

Ich wünsche mir, dass wir aufhören Menschen schuldig fühlen zu lassen, wenn sie keiner Lohnarbeit nachgehen oder „nur“ Teilzeit arbeiten. Dies kann meistens schon durch einen Blick geschehen.

Und zu guter Letzt wünsche ich mir, dass wir weniger streng mit uns selbst sind und keine Schuldgefühle haben, wenn wir keiner Lohnarbeit nachgehen und alles, was wir tun, als Teil unserer täglichen Arbeit zu sehen. Dann sehen wir, wie viel wir tagtäglich eigentlich leisten und wie wir uns durch jede Tätigkeit immer weiterentwickeln und dazulernen.