Machen die Medien eine komische Mischung aus zwei Dingen, die nicht zusammengehören, macht die
JA! ein Video und schreibt darüber, warum wir für partizipative und transparent geplante Fusionen sind
und die Ehe abgeschafft werden sollte.
„Die Braut, die sich nicht traut.“ Das ist nicht ein Titel einer weiteren romantischen Komödie, die jegliche Stereotypen,
Rollenbilder einer monogamen heterosexuellen Ehe zelebriert und reproduziert, sondern eine Schlagzeile aus dem
Bund, der über die Fusion von Bern und Ostermundigen schreibt. Um unsere Kritik gegenüber Medien und dem
Fusionsprozess kundzutun, haben wir ein Video produziert. Wir waren und sind nicht einverstanden mit dem Ablauf
des Fusionsprozesses von Bern und Ostermundigen.
Wie in unserem Video, war sich Thomas Iten beziehungsweise Ostermundigen nicht sicher und hat als Resultat die
Fusion am 22.Oktober abgelehnt. Das „Happy End“ gibt also nur bei uns auf den sozialen Medien und eben in jeder
zweiten romantischen Komödie. Wenn es um die Ehe geht. Diese Fusion hatte aber eigentlich sehr wenig mit der
Ehe zu tun. Klar, es wurde das Fusionieren zweier Gemeinden geplant, was mit einer Ehe verglichen werden kann, weil
auch die das Zusammensein zweier Menschen regelt. Trotzdem ist diese Vermischung aus unserer Sicht nicht
verständlich, irreführend und reproduziert unnötig eine gesellschaftliche Erwartung, dass alle heiraten und eine
glückliche Zweierbeziehung bis ans Ende ihrer Tage führen sollten. Jedoch gibt es noch ganz viele andere
wunderschöne Beziehungsformen, die genau so funktionieren. Zum Beispiel gibt es Freundschaften, deren
Stellenwert von der Gesellschaft unterschätzt wird, die oft länger halten als Liebesbeziehungen. All das lässt das
Gesetz aussen vor, es regelt nur die Ehe und macht sie somit zu einer Institution und stellt sie hierarchisch an oberste Stelle.
„Wenn etwas komplett abgeschafft wird, dann gibt es Raum, damit etwas Neues entsteht, etwas komplett Neues.“,
sagt Emilia Roig, die gerade einen Spiegel Bestseller geschrieben hat: Das Ende der Ehe. Sowie heute dieses Buch
durch die Decke geht, erschütterte schon 1958 das Buch von Iris von Roten, Frauen im Laufgitter, die Schweiz.
Damals galt noch das alte Eherecht und es gab noch kein Frauenstimmrecht. Die Politik und die Frauen waren in den
Händen der Männer. 1971 wurde das Frauenstimmrecht schweizweit eingeführt. 1981 wurde die Gleichstellung
gesetzlich verankert und 1985 nahm das Volk das neue Eherecht an, in dem Mann und Frau gleichberechtigt sind
und partnerschaftlich jegliche Entscheidungen zu ihrem Zusammenleben treffen. Vorher war der Mann das Oberhaupt
der Familie und bestimmte über alles.
Wo die Familie wohnt, ob die Frau einer Erwerbsarbeit
nach geht oder nicht, ob sie ein Konto eröffnen darf und
wie viel Geld sie zur Verfügung hat. Für mich unvorstell-
bar und doch sehr erschreckend, dass es noch gar nicht
so lange her ist. Diese Vergangenheit zeigt auf was die
Ehe aufgebaut ist: Auf patriarchalen Strukturen. Um das
Patriarchat abzuschaffen, muss also auch die Ehe abge-
schafft werden. Denn obwohl das neue Eherecht Gleich-
berechtigung vorsieht, sind die Frauen in heterosexuellen
Ehen noch längst nicht gleichberechtigt. Das herrschende
Patriarchat, das sich zum Beispiel in Lohnungleichheit und
hohen Kitakosten widerspiegelt, bringt viele dazu, trotz
Gleichberechtigung vor dem Gesetz, den Grossteil der
unbezahlten Arbeit Zuhause zu übernehmen. Dies hat le-
benslange Folgen für die Frauen, wie zum Beispiel eine
tiefere AHV Rente.
„Ich habe meine Zweifel, dass es möglich ist eine komplett
gleichberechtigte heterosexuelle Beziehung zu führen.“,
– Emilia Roig.
Emilia Roig trifft einen Nerv. Die Menschen sind in Aufruhr,
nicht viele Stimmen äussern sich kritisch zur Ehe, Iris hat
es gewagt und Emilia macht es heute wieder. Dazwischen
viele weitere Frauen.
Die Ehe hat etwas heiliges an sich, etwas romantisches für
viele und etwas praktisches für andere. Doch eigentlich ist
die Ehe nur ein Gesetz, ein Recht. Die meisten Menschen
interessieren sich nicht für Gesetze, finden sie langweilig,
nicht wichtig für ihr Leben oder zu kompliziert. Nicht dass
ich der Meinung bin, dass Gesetze und Rechte uninteres-
sant und langweilig sind. Ich finde sie sogar sehr wichtig
für alle Menschen und finde auch, dass sich mehr Men-
schen damit beschäftigen sollten und sie für Menschen
zugänglicher sein sollten. Trotzdem stelle ich mir die Fra-
ge, warum die Ehe bei Menschen, die sich sonst nicht un-
bedingt für Gesetze interessieren, doch so unglaublich
wichtig und interessant ist.
Nicht lange muss ich überlegen oder Emilia Roig in der
Sternstunde Philosophie zuhören: „Zur Selbstverwirkli-
chung einer Frau gilt Ehe, Heirat, Kinder
Von klein auf wird uns beigebracht, dass die Ehe eigent-
lich unser Ziel ist im Leben. Dann haben wir es geschafft.
Die Mädchen lernen sie müssen nur ihren richtigen Prin-
zen finden und dann wird alles gut, die Jungs lernen sie
müssen für ihr Mädchen kämpfen, egal was ist und sein
wird oder so ähnlich.“
So lässt nicht nur das Gesetz, sondern auch die Gesell-
schaft und mit ihr die Medien, Filme und Werbung, alle
anderen Beziehungsformen aussen vor und erklärt sie als
weniger wichtig. Die Ehe wird als Happy End zelebriert.
Was dort zelebriert wird, hat jedoch wenig mit der Realität
zu tun. Klar ist es schön ein Fest zu feiern, um die Liebe zu
zelebrieren aber viele vergessen, was hinter diesem Tag
steckt. Kein Film zeigt uns, was wir mit der Ehe alles für
Verbindlichkeiten eingehen, wie stark wir uns gesetzlich
an eine Person binden und wie schwierig, aufwändig und
kostspielig es ist, sich wieder von dieser Person zu lösen.
Die*Der Ehepartner*in wird vom Gesetz aber auch von
der Gesellschaft hierarchisch an oberster Stelle hinge-
stellt. Dadurch werden alle anderen Beziehungsformen
automatisch abgewertet, als weniger wichtig dargestellt
und auch der Spielraum für alternative Familienformen ist
sehr beschränkt, weil das Gesetz die Kernfamilie als ein-
zige Option sieht und somit das Patriarchat immer weiter
zur Norm macht. Das entspricht jedoch schon lange nicht
mehr der Realität und der Vielfalt heutigen Gesellschaft.
Die JA! findet, dass jegliche Beziehungsformen gleich viel
Platz haben sollen im Leben einzelner, in der Gesellschaft
und eben auch im Gesetz. Die Ehe abzuschaffen ist der
erste Schritt in die richtige Richtung hin zu einer vielfäl-
tigen, gleichberechtigten Gesetzgebung ganz egal wie
man sich entscheidet zu leben und zu lieben. Bist die Ehe
abgeschafft ist, dauert es wahrscheinlich noch eine Weile,
bis dahin fordern wir Den Bund und alle anderen Medien
dazu auf, die Ehe nicht mehr als komisches, irreführendes
Vergleichsobjekt zu benutzen.
Von Ronja Rennenkampff