An einem Montagnachmittag traf ich mich mit Natalie Imboden und Julia Egenter im DuNord, um über den Frauenstreik zu plaudern. Natalie ist im Berner Komittee und war schon 1991 dabei, während Julia seit dem ersten Treffen (mit kurzen Unterbrüchen) bei der Koordinationsgruppe tätig ist und mitten im Studium steckt.
Die Stimmung ist entspannt, wir bestellen etwas zu trinken und sitzen erst mal ein bisschen rum. Wer steht gerade wo im Leben, wie geht es uns so an diesem Tag und was liegt uns sonst grad noch auf dem Herzen?
Was das denn für ein Text wird, den ich da schreiben werde und warum. Ich komme mir am Anfang noch etwas komisch vor, mit meinem Notizblock und meinen vorbereiteten Fragen, die ich jedoch schon bald über dem Haufen werfen werde. Dann fange ich an zu fragen…
Gina: Als erstes nimmt es mich wunder, wie der Frauenstreik zustande kam. Wie habt ihr die Organisation erlebt?
Julia: Ich habe es so erlebt, dass sich eine erste nationale Gruppe gefunden hat, die sich dann aber ganz schnell in regionale Komitees aufgeteilt hat. Es braucht zwar eine gut vernetzte Gesamtstruktur, doch es bildeten sich schon bald immer mehr, immer kleinere Komitees.
Natalie: Ich habe es so erlebt, dass in der Romandie die treibende Kraft entstanden ist. Dort fand vor etwas mehr als einem Jahr eine grosse Frauen*demo statt, die das gescheiterte Gleichstellungsgesetz im Nationalrat zum Thema hatte. Daraus entstand ein Nationales Komitee, das sich dann, wie schon Julia sagte, bald in kleinere Kreise verteilte.
G: Lässt sich das mit der Organisation des Frauenstreiks von 1991 vergleichen?
N: Es ist in diesem Sinne ähnlich, dass es auch 1991 schon relativ bald zu einem unüberblickbaren Gewusel von Komitees, Organisationen und Aktivistinnen* wurde. Damals wie heute hat das Ganze ein Ausmass angenommen, das nicht mehr überschaubar ist.
J: Natürlich kommen heute die sozialen Medien dazu, doch die Basics von Mobilisierung bleiben eigentlich gleich. Natürlich leisten Instagram, Twitter, Facebook etc. einen wesentlichen Teil zur Informationsbeschaffung, aber für mich ist die wichtigste Art von Mobilisierung immer noch das persönliche Gespräch mit meinem Umfeld. Ich schöpfe zwar viel Motivation aus den sozialen Medien, wenn ich sehe wie vielen Leuten das Thema am Herzen liegt, doch dadurch können lange nicht alle anderen Formen von Mobilisierungsarbeit ersetzt werden.
G: Mit welcher Art von Kritik seht ihr euch während dieser Prozesse als Mitorganisatorinnen* konfrontiert?
N: Ich bin bisher nicht viel negativer Kritik begegnet. Höchstens bei ganz konkreten Themen und Aussagen, die anschliessend zu einer sehr spezifischen Debatte führten.
J: Wenn irgendwo Kritik laut würde, dann wäre das auf den sozialen Medien. Wir bewegen uns mit dem Thema Frauen*streik jedoch immer noch in einem links-feministischen Kreis, einer Art “Bubble”, in der fast alle unsere Ansichten unterstützen. Ich hoffe, das ändert sich noch in den folgenden Monaten.
G: Das Problem ist ja auch, dass die Frauen, die am meisten Grund hätten zu streiken, das nicht tun können. Entweder ein Verantwortungsbewusstsein (wie z.B. in der Pflege), das Risiko von Jobverlust (z.B. bei Reinigungsfirmen) oder auch eine Sprachbarriere können Frauen* daran hindern, zu streiken. Wie geht frau* damit um?
N: Die Gewerkschaftsfrauen* leisten da grosse Arbeit. Ausserdem müssen wir den Begriff des Streikens überdenken: Du streikst nicht besser als eine Andere, wenn du vom Morgen bis am Abend auf dem Bundesplatz stehst. Streiken soll auch heissen, eine Stunde länger Mittag zu machen und sich so am Streik beteiligen zu können. Es darf keine Hierarchisierung in den verschiedenen Formen des Streikens stattfinden. Manche können vielleicht gar nicht streiken, aber dann können sie ein Transpi aus dem Fenster hängen. Jede Frau* kann eine Form des Streikens finden, die für sie passt: Jede Teilnahme zählt.
J: Mir dieser Frage sprichst du eine grosse Herausforderung an. Die Teilnahme am Streik heisst nicht einfach, einen Tag nicht zu Arbeiten. Auch wenn frau* ein Plakat aufhängt, auf dem steht: “Stellen Sie sich vor, ich wäre heute nicht da!”, trägt sie zum Streik bei. Unser Ziel ist es, dass sich jede*&jeder* während dem 14. Juli mit dem Thema Frauen*streik konfrontiert sieht.
Ausserdem findet die Demo genau aus diesem Grund erst gegen Abend statt, so muss frau* evtl. nur eine Stunde bei der Arbeit fehlen. Gleichzeitig zeigt diese Herausforderung, in was für wichtigen Positionen Frauen* tätig sind. Das dürfen wir schätzen und nutzen. 1991 wurden beispielsweise Putzutensilien aus den Fenstern gehängt, schlicht mit dem vorhin genannten Ziel, Menschen mit dem Frauen*streik zu konfrontieren.
N: Ja, das ist sicher eine Frage, die wir uns stellen müssen. Wie können sich auch jene Frauen* am Streik beteiligen, denen es auf verschiedene Arten erschwert wird?
G: Wie können sich eigentlich Männer* am Streik beteiligen? Und sollen sich Männer* überhaupt beteiligen?
N: Es gibt eine Koordinationsgruppe für Männer*, die regelmässige Sitzungen abhält, die eine Streikküche und die Kinderbetreuung organisieren, so war das auch schon 1991.
J: Ich finde es wichtig, dass Männer* im Vorfeld helfen, unterstützende Vorbereitungen zu treffen. Ich finde es aber ebenso wichtig, dass die Einstellung der Männer* unterstützend und solidarisch ist, es sollte sich kein Mann* in den Vordergrund drängen, indem er* beispielsweise Reden hält, oder an vorderster Front mitläuft.
G: Jetzt habe ich noch eine ziemlich plumpe Frage: Warum streikt ihr?
N: Der Frauenstreik 1991 war für mich eine Art Politisierungsmoment, das kennt ihr sicher auch von grossen Demos, wenn plötzlich so ein kollektiver, euphorisierender Zusammenhalt entsteht und man eigentlich fast meint, jetzt ist es geschafft! — Das war leider nicht so, denn Geschichte funktioniert nicht linear. Strukturell ist das Frauen*thema immer noch eine Minderheit. Andererseits muss frau* sagen, dass gerade im Bereich der häuslichen Gewalt viel erreicht worden ist seit 1991. Heute haben wir klare Vorschriften was das angeht, vor weniger als 30 Jahren durftest du in der Ehe noch vergewaltigen, stell dir das mal vor! Und trotzdem gibt es noch viel zu tun.
J: Egal wo ich hinschaue, sehe ich Diskriminierung aufgrund von Geschlechteridentität. Es gibt nicht das eine Thema, das mich zum Streiken bringt.
N: Es ist eine Stärke, dass es nicht nur das eine Thema gibt, dadurch ergibt sich eine strukturelle Vielfalt.
J: Es gibt vielleicht nicht das eine Thema oder den einen Grund zum Streiken, aber all diese Themen und Gründe bewegen sich innerhalb der gleichen patriarchalen Struktur. Und genau diese Struktur versuchen wir anzugreifen.
G: Schön gesagt! Wie wichtig ist für euch das * im Frauen*streik?
N: Es muss auf jeden Fall Platz haben.
J: Ich als Cis-Frau finde das schwierig zu beantworten. In der Sprache und der Kommunikation wird es sehr berücksichtigt. Ich persönlich kenne in meinen Kreisen keine Trans*frau*, die sich aktiv am Streik beteiligt, von dem her denke ich, dass dies sicher noch gefördert werden könnte.
N: Frau* muss sich mit dem * auseinandersetzen, so wird das Thema breiter diskutiert und ist präsent.
J: Die Sprache ist auf alle Fälle sehr wichtig, aber frau* muss sich auch darüber hinaus damit auseinandersetzen. Es wäre aber eigentlich schön, wenn *-Menschen beim Streik präsenter wären. Soweit ich weiss, gibt es auch keine separate Koordinationsgruppe.
G: Was schätzt ihr gegenseitig an der jeweils anderen Generation?
N: Ich finde es toll, dass LGBTQIN*-Themen viel mehr Platz eingeräumt wird. Abgesehen davon sind je nach Generation die Anliegen verschieden. Es kommt darauf an, in welchem Kontext frau* lebt und daraus ergeben sich verschiedene Fragen. Diese Vielfalt ist unsere Stärke. Ende der 90er Jahre galt das Frauen*thema beinahe als “abgehakt” und in den letzten Jahren hat es wieder an Präsenz gewonnen. Das verdanken wir zu einem grossen Teil den jungen starken Frauen* von heute.
J: Ich sehe viele Gemeinsamkeiten. Zudem sehe ich dadurch, dass schon so viele Frauen* für das Thema gekämpft haben. Das ist teils motivierend, teils frustrierend. In den letzten paar Jahren ist aber insgesamt zum Thema Feminismus wieder sehr viel passiert.
N: Wenn sich frau* zusammentut, erreicht frau* sehr viel. Das sehe ich immer wieder.
J: Wenn frau* sich aber etwas erkämpft hat, ist das aber kein Grund zurückzulehnen und wir müssen auch weiterhin sehr sorgfältig auf das Erkämpfte aufpassen. Ausserdem ist die Diskriminierung aufgrund von Geschlechteridentität heute vielleicht weniger sichtbar, aber dadurch viel perfider. Wahrscheinlich haben auch darum einige Frauen* das Gefühl, die Gleichstellung wäre bereits erreicht.
G: Was würdet ihr gerne abschliessend noch loswerden?
J: Mir fällt immer wieder auf, wie sehr wir patriarchale Strukturen internalisiert haben, nicht nur auf der Kommunikationsebene, sondern auch in Intimbeziehungen (wer leistet die emotionale Arbeit, wie geht mensch mit Sexualität um, etc.). Da bin ich in der Theorie oft an einem ganz anderen Ort als in der Realität. Ich finde, wir müssen mehr Bereitschaft entwickeln, uns nicht an die Norm zu halten. Ausserdem finde ich, dass man auch als Cis-Feministin stets lernbereit sein muss, wenn es um andere Arten von Diskriminierung geht, die einen nicht persönlich betreffen.
N: Ich finde es auch wichtig, dass wir uns den globalen Kontext ins Gedächtnis rufen. Das Thema Frau* beschränkt sich nicht auf die Schweiz — auf der ganzen Welt tut sich eine Bewegung zusammen, das finde ich extrem bekräftigend.
J: In Anbetracht des 14. Juni möchte ich nochmal anmerken, wie wichtig es ist, den Frauen*streik in seine Umwelt zu tragen. Wir müssen immer darüber reden. Je mehr frau* darüber spricht, desto mehr wird frau* erreichen.
Von Gina Ketterer im Ja!rgon 2/2019.