Einblick in den Pflegeberuf – Interview 2

Von Livia Calabretti

Wie lange arbeitest du schon in der Pflege?

Jetzt seit etwa 3 Monaten.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag für dich aus? Was sind deine Aufgaben?

Ich bin nur die Praktikantin, meine Aufgaben bestehen hauptsächlich daraus, die Dinge zu erledigen, wofür der Pflege im Arbeitsalltag keine Zeit bleibt. Das wäre den Patienten Tee zu bringen, die Wäsche aufzufüllen, die Patientenzimmer und auch das Lager sauber und aufgeräumt zu behalten. Aber am wichtigsten: Als Praktikantin springt man ein, wenn der Pflege für die Pflege die Zeit fehlt – sprich eigentlich immer. Zum Beispiel kommt der Pflege etwas dazwischen und es sind noch 3 Körperpflegen offen, also versuche ich da auszuhelfen. Ich kann leider auch nicht immer bei allem helfen, da ich ja nur die Praktikantin bin.

Gefällt dir der Beruf?

Ich habe nicht vor in der Pflege meine Ausbildung zu machen. Ich finde den Pflegeberuf unglaublich toll und faszinierend. Ich bin sicher, hätte ich die Matur nicht gemacht, wäre ich auch in diese Richtung. Aber nach 3 Monaten, in denen ich den Arbeitsalltag und die Arbeitsbedingungen der Pflege hautnah mitbekomme, ist für mich klar: ich könnte niemals mein ganzes Leben lang im Pflegeberuf arbeiten. Dafür müsste sich einiges ändern.

Wo siehst du dich in der Zukunft? Möchtest du dich noch weiterbilden oder vielleicht ganz den Beruf wechseln? Wenn ja, warum?

Wie gesagt, ich habe nicht vor den Pflegeberuf zu erlernen. Ich mache gerade ein Zwischenjahr und möchte nächstes Jahr Medizin studieren. Ich sehe mich nach dieser Praktikumserfahrung im Krankenhaus nicht mehr als Humanmedizinstudent oder Arzt, ich sehe mich in Zukunft als Veterinärmedizinstudentin und am Ende der Strasse in einer Tierklinik.

Wie stehst du zur Pflegeinitiative? Wie wichtig ist es für dich, dass sie angenommen wird?

Ich sehe wie hart und nervenzerreissend der Alltag für die Pflege sein kann. Klar ist mir auch geworden, wie unglaublich nicht-familienfreundlich dieser Beruf ist. Gleichzeitig erfahre ich direkt wie unentgeltlich diese Arbeit ist – und wie sie immer mehr an Wichtigkeit gewinnt, da die Bevölkerung immer wie älter wird und dementsprechend auch mehr Pflege brauchen wird. Es ist natürlich ein sehr schöner Beruf, man erfährt viel Dankbarkeit und sieht wie Menschen wieder gesund werden. Trotzdem höre ich täglich Sätze vom Pflegepersonal wie: könnte ich mich nochmals entscheiden, würde ich die Ausbildung zur*zum Pfleger*in nicht mehr machen. Für mich als Aussenstehende, für wen klar ist, dass ich nicht in diesem Beruf bleiben werde, steht es nicht zur Diskussion; diese Initiative muss unbedingt angenommen werden. Es müssen sich die Arbeitsumstände ändern, denn auch ich möchte von einer guten und nicht ständig überlasteten Pflege gepflegt werden, wenn ich selbst mal zum Patienten werde. Es betrifft eben alle, denn nur die Wenigsten werden nie mal gepflegt werden müssen.

Wie ist es für dich als Frau* in der Pflege? Fühlst du dich respektiert und geschätzt?

Ich fühle mich nicht immer respektiert und geschätzt, dies hat für mich allerdings wenig damit zu tun, dass ich eine Frau bin. Die Pflege wird oft als selbstverständlich angesehen, bekommt meist auch die ganze Kritik des Patienten ab und von ein paar Ärzten bekommt man auch schnell mal den Eindruck, als dass man weniger Wert sei. Das widerfährt aber allen, den Pflegern und Pflegerinnen.

Erfährst du Sexismus am Arbeitsplatz? Falls ja, kannst du (falls du dich dabei wohl fühlst) ein Beispiel machen?

In der kurzen Zeit in welcher ich in diesem Beruf arbeite, sind mir schon einige komische Dinge passiert. Ein Beispiel war ein Patient, bei welchem ich nach einer Operation einen Katheter Sack umhängen musste. Der Patient sass in diesem Moment am Bettrand. Der Sack hing unten am Bettgitter, ich musste also vor ihm hinknien um ihn abzunehmen. Darauf entgegnete der Patient folgendes: «So schön, wenn früsch nach de Narkose grad e Frau vor einem uf d’Knü goht». Der Patient hätte dies sicher nicht gesagt, wäre ich ein cis Heteromann gewesen. Ich habe ihm dann direkt gesagt, dass er jetzt eine Linie übertreten hat. Solche Dinge lassen mich sehr unwohl fühlen, denn ich mache nur meine Arbeit und werde dafür sexualisiert. Das geht gar nicht.

Merkst du einen Unterschied dabei, wie der*die Patient*innen weiblich und männlich präsentierendes Pflegepersonal behandeln?

Auf jeden Fall. Das offensichtlichste ist natürlich, dass die Patienten einem nicht beim Namen nennen, der klar und deutlich auf unserem Badge steht. Ich höre selten Frau XY, sondern immer nur «Schwester?». Dieselben Patient*innen würden Herrn XY auch nicht mit «Bruder?» ansprechen.

Dies stört mich schon, denn dies reduziert mich auf die Tatsache, dass ich eine Frau bin und dies ein angeblicher Frauenberuf sei. Davon müssen wir wegkommen und unsere Sprache anpassen, denn Sprache ist eben Macht.

Wieso denkst du, dass es mehr Frauen* in der Pflege hat?

Der Beruf ist natürlich sehr stigmatisiert. Die Frau in der traditionellen Rolle ist eine liebliche, fürsorgliche und aufopfernde Figur. Das sind natürlich Eigenschaften, die für den Pflegeberuf nicht unwichtig sind. Toxische Männlichkeit führt dazu, dass die Gesellschaft sich weigert, diese Eigenschaften einem cis Heteromann zuzuschreiben, denn diese müssen ja stark sein und dürfen keine Empathie zeigen. Ausserdem ist es natürlich historisch gesehen lange Zeit ein reiner Frauenberuf gewesen. Für besonders ältere Menschen scheint es schwierig, diese Veränderung zu akzeptieren. Wichtig ist: Geschlecht oder Geschlechteridentität setzt nicht voraus ob man das Zeugs zum*zur Pfleger*in hat, denn Empathie und Freude am Helfen kann jede*r haben.