Referendumsfrist bis am 14. Januar 2021
Worum geht es? Am 22. Mai 2019 hat der Bundesrat die Botschaft zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) verabschiedet. Es soll bereits bestehende (und ausreichende) Möglichkeiten zur Bekämpfung von Terrorismus gezielt ergänzen, so etwa mit einer Meldepflicht, einem Kontakt- und Ausreiseverbot, einem Rayonverbot oder der Eingrenzung auf die eigene Wohnung (sog. «Hausarrest»). Davon betroffen sind nicht Personen, die strafrechtlich verfolgt und/oder verurteilt wurden, sondern sogenannte «Gefährder*innen». Ein Begriff, der mit seiner unklaren Umgrenzung dazu dient, Personen präventiv in ihren Grundrechten einzuschränken, bevor sie sich strafbar gemacht haben. Grundlage dafür ist, dass sie gefährden könnten (was auch immer das heissen soll). Auch das neue Gesetz definiert «gefährden» nicht weiter. Es ist deshalb umso problematischer, dass die Bundespolizei (Fedpol) die einschneidenden Massnahmen im Alleingang verfügen kann. Wenigstens kann die betroffene Person um Aufhebung der Massnahme ersuchen, dies allerdings bei niemand geringerem als der verfügenden Behörde Fedpol selbst. Wie gerecht eine solche Selbstüberprüfung ist, kann man sich denken. Schliesslich sind die Schweizer Behörden Meisterinnen in Selbstkritik (Achtung, Ironie!). Einzig beim Hausarrest muss das Fedpol den Antrag einem Gericht unterbreiten. Die Anordnung der Massnahmen, die auf 6 Monate begrenzt sind und einmalig um maximal 6 Monate verlängert werden können, kann beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden (mit einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von 264 Tage, also ungefähr 8.5 Monate [Zahlen vom Jahr 2019]). Bevor sich also eine betroffene Person erfolgreich gegen eine Massnahme wehren kann, könnte die Massnahme schon seit 2.5 Monaten in der Verlängerung sein.
Bereits Kinder ab 12 Jahren können von dieser willkürlichen Anordnung von Massnahmen getroffen werden! Bei der Eingrenzung ist man bis zum 15. Lebensjahr sicher vor willkürlichen Anordnungen der Bundespolizei. Laut Kinderrechtskonvention darf der Freiheitsentzug nur als letztes Mittel, für die kürzest mögliche Zeit und nur für eine schwere Straftat gegen Kinder angewendet werden. Laut Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, handelt es sich beim Hausarrest um Freiheitsentzug. Die Regelungen des PMT, welche Kinder betreffen, verstossen damit klar gegen die Europäische Kinderrechtskonvention.
Dass dieses neue Gesetz die Grundrechte und den Rechtsstaat stark beschneiden scheint klar zu sein. Umso erschreckender ist es, dass der Nationalrat die Vorlage am 25. September 2020 mit 112 zu 84 und der Ständerat mit 33 zu 11 Stimmen angenommen haben, ganz im Schatten der Corona-Krise. Über sechzig renommierte Schweizer Rechtsprofessor*innen baten das Parlament in einem offenen Brief, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Verschiedene Sonderberichterstatter*innen der Vereinten Nationen kritisieren das Gesetz scharf. So auch Fionnuala Nì Aoláin (UNO-Sonderbeauftragte, Anwältin und Rechtsprofessorin mit Schwerpunkt Menschenrechte): Es sei nicht nur extrem besorgniserregend, dass vom Gesetz auch Kinder betroffen seien, sondern auch, dass die Definition von Terrorismus vom Konsens im internationalen Recht abweiche und fernab vom üblichen, unmissverständlichen Modell sei. Diese Definition von Terrorismus werde von autoritären Staaten benutzt, um die Opposition zu unterdrücken (vgl. etwa auch der Prevention of Terrorism Act of 1978 in Sri Lanka mit einer ähnlich schwammigen Definition von Terrorismus). Die Schweiz mit einer historisch wichtigen Rolle, wenn es darum gegangen sei, präzise, eng gefasste, rechtlich adäquate Definitionen von Terrorismus zu verteidigen, sende nun das Signal an die Welt hinaus, dass eine solche breite, vage, unpräzise und interpretierbare Definition von Terrorismus legitim sei.
Was wäre die Alternative zu einer Verschärfung der Gesetze? Der einzige Weg zu einer nachhaltigen Sicherheit, so Nì Aoláin, sei der Rechtsstaat, die Wahrung der Menschenrechte. Dass Sicherheit durch soziale Einbettung und nicht durch Kriminalisierung und Isolation entstehen, scheint noch nicht in der Schweizer Legislative angekommen zu sein. Umso bedeutender ist es, dass die Stimmbevölkerung über dieses Gesetz abstimmen darf.
Deshalb gilt es, bis zum 14. Januar 2021 die benötigten 50’000 Unterschriften zu sammeln. Helft mit!
Von Mahir Sancar
Quellen:
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20190032
https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2020/7741.pdf
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/das-ejpd/organisation.html
https://en.wikipedia.org/wiki/Prevention_of_Terrorism_Act_(Sri_Lanka)
Asylpraxis der Schweiz von 1979 bis 2019
https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/publiservice/publikationen.html