JA!rgon Nr. 2/2016
Die Ankündigung der Tour de France, in Bern zu gastieren, löst bei einigen Politiker_innen frenetische Begeisterung aus. Vor meinem inneren Auge erscheinen bei dieser Vorstellung eher viele Absperrgitter, Polizeikontrollen und ein riesiges Konsumangebot. Wirklich unheimlich an der Diskussion rund um diesen Grossanlass ist aber die Rhetorik des „Stadtmarketings“. Von Seraina Patzen
Zwischen dem 18. und dem 20. Juli gastiert die Tour de France in Bern. Organisiert wird sie alljährlich vom privaten Unternehmen ASO. 2007 berichtete die TAZ, dass das Unternehmen 29 Millionen Gewinn gemacht habe[1], aktuellere Zahlen sind nicht auffindbar. Ein beträchtlicher Teil dieses Gewinns dürfte aus der Tour de France stammen, und da sich das Unternehmen nach wie vor um die Organisation der Tour bemüht, kann auch davon ausgegangen werden, dass sich dieser Auftrag finanziell immer noch lohnt.
Der Kanton Bern unterstützt die Tour de France mit insgesamt 1.74 Millionen Franken. Die Stadt Bern will gemäss Aussagen von Stadtpräsident Tschäppät zusätzlich 300‘000.- beisteuern (Nachträgliche Anmerkung: Der Stadtrat beschliesst am 26.05 über einen Kredit von 550’000.-, inkl. Rahmenprogramm). Damit subventionieren Stadt und Kanton ein privates Unternehmen: Die Kosten für die Tour de France tragen die beteiligten Gemeinden, den Gewinn fährt die ASO ein. Für Christian Prudhomme, seit 2007 Tour-Direktor bei ASO, ein logischer Vorgang. In dem eben schon zitierten TAZ-Artikel argumentiert er: „Die Städte kommen auf uns zu und nicht umgekehrt. Wir bieten ihnen eine Dienstleistung an, für die sie uns eine bestimmte Summe zahlen, so einfach ist das.“ Doch um welche Dienstleistung handelt es sich, die die ASO der Stadt Bern verkauft?
Vom „drittgrössten Sportanlass der Welt“, von einem „grossen Sportfest“, von „unbezahlbaren Bildern“ und von „Zielmärkten“ ist die Rede, wenn Organisator_innen, der Stadtpräsident und Regierungsräte an einer Medienkonferenz über die Tour de France in Bern sprechen. Die Stadt Bern kauft sich bei der ASO also eine Werbeplattform ein. Beworben wird die Marke Bern. Ob die Hoffnung auf eine Ankurbelung des Tourismus berechtigt ist oder nicht, bleibe mal dahingestellt: Diese Stadtvermarktung trägt an sich sehr unheimliche Züge.
Die Stadt wird in dieser neoliberalen Denkweise zu einem Produkt, dass man verkaufen und bestmöglich bewerben kann. Dabei zählen nicht nur die klassischen Sehenswürdigkeiten und Bauwerke, auch die Bevölkerung einer Stadt hat ihre Rolle in dieser Vermarktung zu spielen. So meinte Alexander Tschäppät beispielsweise, den Ruhetag der Tour würden die Medien nutzen, „um über die sportbegeisterten Bernerinnen und Berner, die Lebensqualität und Lebensfreude in unserem Kanton zu berichten“. Diese Logik ist eine gefährliche: Die Stadt wird vom Lebensraum zur Kulisse, der Bevölkerung kommt nur noch die Rolle von Statist_innen zu. Die Stadt muss sich immer im bestmöglichen Licht präsentieren, sauber und ordentlich sein. Wer ausschert, auffällt, Dreck oder Lärm macht, gefährdet das Geschäft und gehört aus der Stadt gewiesen. Und wer Bern in ein gutes Licht rücken kann, dem stehen viel Geld aus der Staatskasse und viele Privilegien im öffentlichen Raum zu.
Dieser Logik wollen wir uns nicht unterwerfen. Für uns ist die Stadt Lebensraum und keine Marke. Wir wollen eine Stadt für Menschen statt für Zielmärkte! Der öffentliche Raum soll ein Ort sein, wo sich soziales und politisches Leben abspielt, der allen offen steht und dessen exklusiver Zugang sich niemand erkaufen kann.