Seit 2007 verfügt Tamedia mit der „Berner Zeitung“ und dem „Bund“ über ein De-Facto-Monopol im Berner Printjournalismus. In den letzten Jahren wurden die einst unabhängigen Lokalredaktionen sukzessive kleingespart und schliesslich 2020 in eine gemeinsame Redaktion zusammengeführt. Das Resultat war eine bedenkliche Vereinheitlichung der Berichterstattung über das Geschehen in der Region Bern. Engagierte Journalist*innen versuchen, mit Online-Angeboten den Einheitsbrei aufzumischen.
-Von Raphael Wyss
„Mitte-rechts meldet sich in der Stadt Bern zurück“, war letzten Montag in den Online-Portalen von „Bund“ und „BZ“ zu lesen. Dies, nachdem die Bürgerlichen in der Budgetabstimmung vom Sonntag mit 44% Nein-Stimmen einen vermeintlichen Achtungserfolg erzielt hatten. Es war der vorläufige Schlusspunkt einer seit Monaten andauernden kampagnenähnlichen Berichterstattung der Tamedia-Blätter zur oder besser gegen die stadtberner Budgepolitik. Seit Anfang September wurde die Finanzkompetenz von Gemeinderat und linker Mehrheit im Parlament systematisch in Zweifel gezogen. Neben der rekordverdächtig tiefen Wahlbeteiligung dürfte es denn vor allem an der einseitigen Tamedia-Berichterstattung gelegen haben, dass das Budget nicht so hoch angenommen wurde wie in den letzten Jahren. Dies hinderte die Tamedia-Redaktion nicht daran, in besagtem Artikel mehrere junge (oder eher nicht ganz alte) bürgerliche Ratsmitglieder für ihr angebliches rhetorisches Geschick in der Debatte zu loben und zur künftigen Alternative zu Rot-Grün hochzuschreiben.
Die einseitige Berichterstattung der Tamedia-Blätter zur Berner Finanzpolitik wäre nicht so tragisch, wenn es in Bern ein ähnlich grosses Medium gäbe, das eine andere Perspektive auf die Thematik bieten würde. Gibt es aber nicht. 2020 hat Tamedia das sogenannte „Berner Modell“ mit zwei weitgehend unabhängigen Redaktionen für „Bund“ und „Berner Zeitung“ aufgegeben, obwohl sich die Zürcher Zentrale kurz zuvor noch explizit dazu bekannte. Dem Vernehmen nach war das Modell, das trotz der Print-Krise finanziell tragfähig war, dem hochprofitablen Mutterkonzern „TX Group“ zu wenig rentabel. Somit werden die Berichterstattungen der zwei einzigen Berner Tageszeitungen heute von ein und derselben Redaktion verfasst. Die Deutungshoheit über das politische und kulturelle Geschehen in der Region Bern wurde damit faktisch einem einzigen, überschaubaren Team von Journalist*innen übertragen.
Wie es die Budget-Berichterstattung wiedermal bestätigte, ist die Einheitsredaktion zumindest in Finanzfragen klar bürgerlich eingestellt. Ein Grossteil der politischen Berichterstattung erschöpft sich denn auch in kritischen Artikeln zur Ausgabenpolitik von Gemeinde- und Stadtrat. Tiefergehende thematische Auseinandersetzungen mit der Stadtpolitik sind eher selten, eine kritisch-linke Perspektive auf die Politik von RGM fehlt ganz.
Was lässt sich für mehr Medienvielfalt in der Stadt Bern tun? Mehrere engagierte Journalist*innen versuchen, mit innovativen Online-Angeboten Gegensteuer zu geben. Mehr dazu im nächsten JA!rgon…