Beharrliche Rollen
von Nora Joos
In meinem Freund*innenkreis mache ich immer wieder ähnliche Beobachtungen. In heterosexuellen Liebesbeziehungen sind es vorwiegend weiblich sozialisierte Personen, welche emotionale und Beziehungsarbeit leisten. Ich beobachte, wie Frauen* hauptsächlich Konflikte ansprechen, Unsicherheiten, Ängste und Emotionen ausdrücken, Fragen stellen und nachhacken. Eine starke Geschlechterkomponente in der Verhaltensweise mitspielt, wer z.b wen unterstützt beim präzisiere Wörter finden als «gut» oder «müde» zum Ausdrücken der eigenen Gefühle. Diese Geschlechterdynamiken bemerke ich nicht nur in Frau-Mann Paarbeziehungen, auch wenn sie sich dort für mich am offensichtlichsten herauskristallisieren, sondern auch in den duzenden anderen Beziehungsformen, die mich umgeben: von den Mitbewohnenden über Familienkonstellationen zu Lohnarbeits-Kolleg*innen.
Vermehrt wird in Beziehungen über Kommunikation gesprochen: was, wie, wann, wie ausführlich mitgeteilt werden soll. Dies empfinde ich als wichtig. Noch hilfreicher für mich jedoch ist das klare Ausdrücken von den sich verändernden unterschiedlichen Bedürfnissen nach Nähe und Distanz, das radikale Einfordern eines fähigen Gegenübers, der Beziehungsarbeit leistet, und den Mut sich verletzlich zu zeigen, um beharrliche Rollen zu verwerfen.
Ich fühle mich in keiner Position wohl. Weder in der nähebedürftigen (vom weiblichen Geschlechterbild geprägt) noch in der distanzsuchenden Rolle(männlich assoziiert). Ich möchte eine radikale Annahme des Anderseins wie Johana Montanari es beschreibt und das Verletzlichkeit nicht durch Distanziertheit verdeckt wird. Ich schliesse mich allen an die für weniger Angst und vor allem weniger Angst vor der eigenen Verletzlichkeit plädieren. Bini Adamczak schreibt eine Revolution müsste solidarische Beziehungen nicht nur als Mittel zum Zweck sondern als Ziel haben. Dafür braucht es den Mut zur Verletzlichkeit aller und ein radikal anders wahrnehmen aller von allen immer wieder neu.
Unter solidarische Beziehungen verstehe ich, dass alle Menschen Aspekte, welche die Beziehung betreffen thematisieren. Die eigenen Emotionen verstanden und der anderen.en Person.en verständlich erläutert werden. Es benötigt, dass alle Menschen nachfragen nach den Gefühlen der anderen und einen empathischen Umgang damit haben.
Mental Load
Mental Load (psychische Belastung/ Überbelastung) ist eine Kombination aus emotionaler und kognitiver Arbeit. Es beinhaltet die Gefühle von sich selbst und anderen in verschiedenen Kontexten zu managen: sie vorauszusehen, darüber nachzudenken, zu reagieren und sich darum kümmern. Es beinhaltet, das Sicherstellen, dass alle emotional und physisch versorgt sind. Drei Charakteristiken sind erwähnenswert. Erstens, Mental Load ist nicht sichtbar. Es handelt sich um interne Arbeit, welche heutzutage unbezahlt geleistet und unterbewertet wird. Zweitens, Mental Load ist grenzenlos. Die Arbeit kann mitgenommen werden in die Freizeit, in den Schlaf und in die Lohnarbeit. Drittens, Mental Load hat kein Ende und ist andauernd. Es handelt sich um das Kümmern geliebter Menschen, welches immer wieder neu benötigt wird. Um alle Geschlechterungleichheiten zu bekämpfen und starre Rollenbilder auszuhebeln ist es wichtig Mental Load zu benennen und im Alltag sichtbar zu machen.
Ein Text inspiriert von Ulla Wittenzellner, Johanna Montanari, Bini Adamezak, U’n’S und Liz Dean.
Illustration: Rupi Kaur