Am Samstag, den 11. Oktober, fanden auf dem Bundesplatz die Miss Schweiz Wahlen 2014 statt. Mit einem riesigen Polizeiaufgebot und in Zusammenarbeit mit einem privaten Sicherheitsdienst (Broncos-Security) wurde versucht, jeglichen – friedlichen – Prostest gegen den sexistischen Mega-Event zu verhindern.
Es kam zu willkürlichen Personenkontrollen, mündlichen Wegweisungen. 20 Personen wurden festgenommen, darunter viele Minderjährige. Die festgenommenen Personen wurden mehrere Stunden lang auf dem Posten festgehalten, viele der minderjährigen Personen kamen erst gegen zwei Uhr morgens frei. Zudem musste sich ein Grossteil der festgenommenen Personen auf dem Posten nackt ausziehen und es kam zu willkürlichen Intimkontrollen, auch bei Minderjährigen.
Leider ist es nicht das erste Mal, dass sich politische Aktivist_innen während einer Festnahme entkleiden müssen. Schon in der Interpellation der GB/JA!-Fraktion „Schluss mit der Schikanierung politischer AktivistInnen“ vom 18. August 2011 wurden verschiedene gleiche Vorfälle thematisiert. Auslöser dieses Vorstosses war damals die von der Polizei angeordnete Entkleidung von zwei GSoA-Aktivisten, die beim Unterschriftensammeln festgenommen wurden.
Auch im Rahmen der Räumung des AKW-Ade-Camps im Juni 2011 mussten sich die verhafteten Camp-Bewohner_innen ausziehen, auch damals waren Minderjährige darunter.
Die Aufsichtskommission verlangt im Jahr 2011 vom Gemeinderat sich für „eine zurückhaltende Praxis und den verhältnismässigen Einsatz von Entkleidungen einzusetzen“ . In seiner Antwort auf die oben genannte Interpellation schreibt der Gemeinderat, dass er „vom Kommando der Kantonspolizei verlangt habe, die Regelung und Praxis betreffend der Entkleidung zu überprüfen und diese nur soweit unbedingt notwendig anzuwenden.“ Im vorliegenden Fall der Proteste gegen die Miss Schweiz Wahlen gibt es keine vernünftige Erklärung, die es rechtfertigen würde, dass sich ein Grossteil der Festgenommenen nackt ausziehen musste.
Durch das Ausziehen auf dem Posten und Intimkontrollen werden die Betroffenen gedemütigt und es bedeutet eine grosse psychische Belastung. Da wohl bei kaum einer der festgenommenen Personen der begründete Verdacht auf Besitz von Betäubungsmitteln oder sonstigen illegalen Gegenstände vorlag, stellt sich die Frage, ob die Polizei das Nacktausziehen nicht viel mehr als Schikane und Einschüchterungstaktik gegenüber jungen Aktivist_innen missbraucht.
Ein zweiter Punkt betrifft die mündlichen Wegweisungen: Seit einigen Jahren ist die „mündliche Wegweisung“ unter Androhung von Busse wegen Verstoss gegen Art. 292 StGB Praxis in Bern. Dies obwohl Art. 29 des Berner Polizeigesetzes keine mündliche Wegweisung vorsieht. Die rechtliche Grundlage ist also kaum vorhanden. Zudem öffnet diese Praxis der Willkür Tür und Tor: Die Polizei kann so jegliche missbeliebige Personen grundlos wegschicken und büssen. Mündliche Wegweisungen lassen sich nicht überprüfen, es kann auch nicht Einspruch dagegen erhoben werden.
Die Unterzeichnenden fordern den Gemeinderat deshalb auf, folgende Fragen zu beantworten:
1. Sieht der Gemeinderat den gesamten Polizeieinsatz, mit willkürlichen Personenkontrollen, mündlichen Wegweisungen und über 20 Festnahmen, als verhältnismässig an? Falls ja, weshalb?
2. Wie begründet der Gemeinderat vorsorgliche Wegweisungen und Kontrollen von Passant_innen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen?
3. Zum Instrument der mündlichen Wegweisung:
a. Wie steht der Gemeinderat zu diesem Instrument?
b. Ist der Gemeinderat der Meinung, dass mündliche Wegweisungen rechtens sind? Wenn ja: Welche rechtlichen Grundlagen gibt es?
c. Ist der Gemeinderat bereit, mit der Kantonspolizei Bern das Gespräch in Sachen mündliche Wegweisungen zu suchen?
4. Zum Vorgehen auf dem Polizeiposten:
a. Wie viele Personen mussten sich nackt ausziehen? Wie viele davon waren minderjährig? Welches Geschlecht hatten die Personen, die sich ausziehen mussten? Welches ist die Begründung für die Entkleidung? Wie viele Intimkontrollen wurden vorgenommen?
b. Findet der Gemeinderat diese Praxis des Nacktausziehens von politischen Aktivist_innen verhältnismässig? Falls ja, weshlab?
c. Sieht der Gemeinderat ein Problem darin, wenn sich Minderjährige auf dem Polizeiposten nackt ausziehen müssen? Falls nein, weshalb nicht?
d. Wieso wurden nicht alle Eltern der minderjährigen Personen informiert?
e. Darf die Polizei minderjährige Personen um zwei Uhr morgens alleine nach Hause schicken?
5. Wie gedenkt der Gemeinderat auf die Ereignisse zu reagieren? Wird er eine Untersuchung des Polizeieinsatzes einleiten?
6. Die Polizei hat gegenüber den Medien eine juristische Überprüfung des Einsatzes durch eine Drittinstanz angekündigt. Von wem wird diese Überprüfung vorgenommen und wie sieht diese aus?
7. Dem Gemeinderat obliegt die strategische Verantwortung über die Polizeieinsätze und er ist der operativen Führung der Polizei damit übergeordnet. Klare Anordnungen im Vorfeld von solchen Einsätzen von Seiten des Gemeinderats sind möglich. Will der Gemeinderat in Zukunft verhindern, dass sich politische AktivistInnen ohne begründeten Verdacht nackt ausziehen müssen? Wenn ja wie?
Begründung der Dringlichkeit: Die gestellten Fragen müssen – auch im Sinne der Betroffenen – möglichst schnell beantwortet werden, damit eine mögliche Untersuchung möglichst zeitnah nach den Vorfällen durchgeführt werden kann.
Bern, 16. Oktober 2014