Der Fichenskandal

JA!rgon Nr. 3/2016

Von Lisa Kast

Als eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) mehr über die Amtsgeheimnisverletzung von Elisabeth Kopp und ihrem Mann herausfinden sollten, stösst sie auf viel mehr als erwarten. Man entdeckte wie die Schweizer Bundespolizei fast ein ganzes Jahrhundert durch «unschweizerisches Verhalten» auffällig gewordene Personen überwachte. Ein Thema, welches damals zu einem grossen Skandal führte, löst heute eher Gleichgültigkeit in der Bevölkerung aus.

Alle Informationen zu den überwachten Personen wurden in Fichen zusammengesammelt und aufbewahrt. Für jedeN zwanzigsteN Schweizer_in und jedeN dritteN Ausländer_in wurden von der Bundespolizei eine Fiche angelegt. Der Bundespolizei verdächtig geworden ist jedeR, die/der an einer Demonstration teilgenommen hat, in den Osten in die Ferien gefahren ist, einen unkonventionellen Lebensstil pflegte, unbequem oder irgend in einer Art «links» war. Wer in Vereinigungen oder Parteien aktiv war, ist der Bundespolizei sofort aufgefallen.

Zu Beginn wurden vor allem Nazis überwacht. Während des Kalten Kriegs waren es Linksaktivist_innen und je länger die Überwachung dauerte umso mehr wurde der Kreis ausgedehnt: Ausländer_innen, Jura-Separatist_innen, Gewerkschaftsmitglieder, Feminist_innen, «verdächtige» Bundesbeamte und sogar Waisenkinder, die vom Roten Kreuz gemeldet wurden, wurden fichiert.

Man war dem Staatsschutz schon länger misstrauisch gegenüber gewesen. Es hatte jedoch niemand mit einem solchen Ausmass gerechnet. Der PUK gab bekannt, dass es sich beiden meisten gesammelten Informationen um «belanglose Tatsachen» und «blosse Vermutungen ohne Überprüfung des Wahrheitsgehalt» handelt. Das ist tatsächlich nicht verwunderlich, da jede_r Nachbarn_in, Arbeitskolleg_in, Be- kannte_r mit Vermutungen und Behauptungen zur Polizei gehen konnte und diese in einer Fiche notiert wurden. Neben diesen Hobbyschnüfler_innen gab es auch Beamte, die Informationen beschafften.

Schon diese wagen Informationen reichten in einigen Fällen aus, damit überwachte Personen nicht eingestellt wurden oder ihre bisherige Stelle verloren. So zerstörte der Staatsschutz die Existenz von einigen Personen.

In den heutigen Diskussionen über Büpf und NDG spielt die Fichen-Affäre nur selten eine Rolle, sie findet praktisch keine Erwähnung. Dabei zeigt diese Geschichte doch deutlich, wie unkontrollierbar, willkürlich und nutzlos die Datensammelwut des Staatsschutzes ist.